Gerichtsgutachten und Haftung: Muss ein Hinweis bzgl. Prozessvergleich hinein? Wir meinen: Nein.
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Nicht selten werden gerichtliche Streitigkeiten über einen sogenannten „Prozessvergleich“ gütlich beigelegt. Basiert der Vergleich dabei auf dem im Zuge des Prozesses gerichtlich erstellten Gutachten, haftet der Sachverständige bei einem vorsätzlich oder grob fahrlässig erstellten unrichtigen Gutachten (vgl. BGH-Urteil vom 25. Juni 2020 – III ZR 119/19). In einem aktuellen Fachartikel wird daher empfohlen, einen Hinweis unter das Gerichtsgutachten aufzunehmen, der das Gericht und die Parteien in Bezug auf das Thema sensibilisiert. Unser Fachmann Sebastian Drießen ist anderer Meinung und erklärt Ihnen die Hintergründe in seinem Blogbeitrag.
In seinem Artikel „Stolperfallen bei Gerichtsgutachten“ in der Zeitschrift „Die Sachverständigen“ (Ausgabe 6/2023) geht der Autor Harald Volze u.a. auf die erweiterte Haftung des gerichtlichen Sachverständigen ein (in Bezug auf das BGH-Urteil vom 25. Juni 2020 – III ZR 119/19). Er empfiehlt dem Sachverständigen, in das Gerichtsgutachten einen Satz aufzunehmen, der das Gericht und die Parteien in Bezug auf die erweiterte Haftung sensibilisieren soll. Gleichzeitig sollen die Parteien und das Gericht gebeten werden, dem Sachverständigen vor einem gerichtlichen Vergleich die Möglichkeit zu geben, mitzuteilen, ob das Gutachten so dem gerichtlichen Vergleich zugrunde gelegt werden könne. Im Wortlaut empfiehlt der Autor folgenden Satz (vgl. Volze, in: DS 6/2023, S. 137):
„Sollte mein Gutachten einem Vergleich zugrunde gelegt werden, bitte ich um Information, damit ich überprüfen kann, ob das Gutachten von mir dem gerichtlichen Vergleich so zugrunde gelegt werden kann. Ich verweise als Sachverständiger auf die Entscheidung des BGH […] und bitte, meine Anregung freundlicherweise zu berücksichtigen.“
Vorbehalt für Gericht ohne Bedeutung
Der BGH hat in seinem oben genannten Urteil gerade klargestellt, dass die Haftung des gerichtlichen Sachverständigen gemäß § 839a BGB auch im Falle von gerichtlichen Vergleichen gilt. Vorbehalte im Gutachten wären also ohne Bedeutung.
Behinderung von Vergleichsabschlüssen
Derartige Formulierungen in Gutachten könnten vielleicht sogar den Abschluss gerichtlicher Vergleiche behindern, den Gerichte und Parteien durchaus anstreben. Denn ein gerichtlicher Vergleich wäre dann nur über einen Umweg (Vorweginformation des Sachverständigen sowie ggf. sein „OK“) möglich.
Sachverständiger steht nicht hinter seinem Gutachten
Im Gegenteil könnte eine solche Formulierung auch dahingehend dem Sachverständigen Probleme bereiten, dass ihm vorgehalten werden kann, nicht hinter seinen Ergebnissen und Wertungen im Gutachten zu stehen und somit die Aussagekraft des Gutachtens mindern. Vor allem Rechtsanwälte, die die Interessen ihrer Parteien streitbar vertreten wollen, werden diese Möglichkeit nicht auslassen.
Bestätigung durch Prof. Ulrich in i&b 4/2020
In seinem Fachbeitrag zu dem oben genannten BGH-Urteil (hier kostenfrei herunterladen) geht der Autor Prof. Jürgen Ulrich in Abschnitt 2 auf folgende frühere Empfehlung (Aufnahme als letzten Satz im Gutachten) von Herrn Volze ein und hält diese nicht für zweckmäßig:
„Das Gutachten für das Gericht eignet sich nicht für gerichtliche Vergleiche der Parteien ohne ergänzende Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen.“
Prof. Ulrich kommentiert diese Empfehlung u.a. wie folgt:
„Dieser von Volze kreierte spezielle Vorbehalt könnte umgekehrt Einwendungen gegen die Überzeugungskraft des Gutachtens provozieren nach dem Motto: Wenn dieser Sachverständige die Verwertbarkeit für einen gerichtlichen Vergleich einschränkt, dürften seine Bewertungen ja wohl auch nicht für ein Urteil genügen.“
💡 Fazit Die Meinung und die Empfehlung des Herrn Volze bzgl. der Aufnahme eines Vorbehalts bei gerichtlichen Vergleichen in Gerichtsgutachten wird nicht geteilt. Im Gegenteil wären Einwendungen vonseiten der Rechtsanwälte in Bezug auf die Aussagekraft des Gutachtens wahrscheinlich und für eine zügige Beendigung gerichtlicher Prozesse hinderlich.
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