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Der Werteinfluss von Barrierefreiheit: Die Neuerungen durch die ImmoWertV 2021


Die Novellierung der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) zum 14. Juli 2021 markiert einen Wendepunkt in der Immobilienbewertung in Deutschland. Mit Inkrafttreten zum 1. Januar 2022 integriert sie einen Aspekt, der in der bisherigen Bewertungspraxis oft eine untergeordnete Rolle spielte: die Barrierefreiheit von Gebäuden. Dieser Schritt trägt den veränderten gesellschaftlichen Anforderungen Rechnung, spiegelt die wachsende Bedeutung einer inklusiven Wohnraumgestaltung wider und unterstreicht auch die Bedeutung von Barrierefreiheit als Indikator für die Qualität und Zukunftsfähigkeit von Immobilien.

Barrierefreiheit als integraler Bestandteil der Immobilienbewertung

Mit der expliziten Erwähnung der Barrierefreiheit als Ausstattungs- und Qualitätsmerkmal in § 2, Abs. 3 Nr. 10 d der ImmoWertV 2021 erweitert sich der Rahmen der Immobilienbewertung um eine zentrale Dimension. Dieser Schritt trägt den veränderten Anforderungen an Wohn- und Gebäudestandards Rechnung und positioniert Barrierefreiheit als ein zentrales Element der Baukultur und Immobilienökonomie. Fachleute aus dem Bereich der Immobilienbewertung sind nun gefordert, die Kriterien für Barrierefreiheit in ihre Bewertungspraxis zu integrieren, was eine genaue Kenntnis der relevanten Normen voraussetzt. Diese bilden die Basis für die Bewertung der Zugänglichkeit und Nutzbarkeit von Gebäuden für alle Menschen, unabhängig von ihren physischen Fähigkeiten. Hier ein Überblick über die wichtigsten Normen und Richtlinien in diesem Bereich:

DIN-Normen

DIN EN 17210 und DIN 18040-1: Diese Norm bezieht sich auf die Barrierefreiheit im öffentlichen Hochbau, z.B. bei Bildungs- und Verwaltungsbauten. Sie definiert Anforderungen an die Gestaltung von Zugängen, Bewegungsflächen, Türen, Sanitärräumen usw., um eine Nutzung ohne fremde Hilfe zu ermöglichen.

DIN EN 17210 und DIN 18040-2: Konzentriert sich auf die Barrierefreiheit von Wohnungen. Sie legt die Kriterien für die Planung und Ausführung von barrierefreien Wohngebäuden fest, einschließlich der Zugänge, Wohnungszuschnitte und Ausstattungsmerkmale.

DIN EN 17210 und DIN 18040-3: Diese Norm befasst sich mit der Barrierefreiheit im öffentlichen Raum, wie Straßen, Plätze und Grünanlagen und definiert Anforderungen an deren Gestaltung.

Gesetzliche Vorgaben

Behindertengleichstellungsgesetz (BGG): Dieses Gesetz zielt darauf ab, die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen zu verhindern und ihnen eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, was auch die barrierefreie Zugänglichkeit von öffentlichen Gebäuden und Einrichtungen einschließt.

Landesbauordnungen (LBO): Die Bauordnungen der einzelnen Bundesländer enthalten spezifische Vorgaben zur Barrierefreiheit, die beim Neubau oder bei der Sanierung von Gebäuden zu beachten sind. Diese Vorgaben können je nach Bundesland variieren.

Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0): Obwohl diese Verordnung hauptsächlich die barrierefreie Gestaltung von öffentlichen Informationstechnologien regelt, illustriert sie den umfassenden Ansatz zur Barrierefreiheit, der auch für die Immobilienbewertung relevant sein kann, insbesondere im Hinblick auf die Zugänglichkeit von Informations- und Kommunikationstechnologien in Gebäuden.

Leitfäden

Leitfäden zur Barrierefreiheit: Verschiedene Organisationen und Institutionen haben Leitfäden und Empfehlungen veröffentlicht, die detaillierte Informationen und Best Practices zur Umsetzung von Barrierefreiheit in der Architektur und im Bauwesen bieten. Diese können als Ergänzung zu den offiziellen Normen und Gesetzen dienen und helfen, die Anforderungen in der Praxis umzusetzen.

Die Herausforderungen und Chancen der Bewertung von Barrierefreiheit

Die differenzierte Bewertung der Barrierefreiheit birgt sowohl Herausforderungen als auch Chancen. Einerseits erfordert sie von den Bewertern, Architekten und Sachverständigen eine Auseinandersetzung mit einem breiten Spektrum an Standards, die je nach Bundesland, Gebäudetyp und Nutzungszweck variieren können. Andererseits eröffnet sie die Möglichkeit, Immobilien nicht nur unter Aspekten der Nutzbarkeit und Zugänglichkeit, sondern auch hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Relevanz und ihres Beitrags zu einer inklusiven Gesellschaft zu bewerten. Die Berücksichtigung der Barrierefreiheit als wertbeeinflussendes Merkmal stellt eine Anerkennung ihrer Bedeutung für eine demografisch sich wandelnde Gesellschaft dar. Angesichts einer alternden Bevölkerung und der zunehmenden Sensibilisierung für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen gewinnt die barrierefreie Gestaltung von Lebensräumen immer mehr an Bedeutung. Immobilien, die diesen Anforderungen gerecht werden, können sich durch eine höhere Attraktivität und damit verbundene Wertstabilität oder -steigerung auszeichnen.

Der Werteinfluss von Barrierefreiheit

Die Frage, welchen Einfluss die Barrierefreiheit auf den Wert einer Immobilie hat, ist von zentraler Bedeutung. Dabei geht es nicht nur um die unmittelbaren Kosten für barrierefreie Ausstattungsmerkmale, sondern auch um den langfristigen Nutzen. Wichtig dabei zu beachten ist, dass potenzielle Kosten für eine barrierefreie Nachrüstung in der Wertermittlung nur angesetzt werden dürfen, wenn der Markt diese bei den Kaufpreisüberlegungen auch einbeziehen würde.

Mit Blick auf „Angebot und Nachfrage“ können Immobilien, die breiten Bevölkerungsschichten zugänglich sind, auf eine größere Zielgruppe und damit potenziell auf eine höhere Nachfrage blicken. Dies könnte sich positiv auf den Wert auswirken, insbesondere in Gebieten, in denen die Nachfrage das Angebot übersteigt. Zudem spiegelt die Berücksichtigung der Barrierefreiheit in der Wertermittlung einen gesellschaftlichen Wertewandel wider, der das Bewusstsein für Inklusion und die Notwendigkeit eines barrierefreien Zugangs zu Wohnraum stärkt. Objekte, die diesen Anforderungen gerecht werden, könnten daher auch als nachhaltige Investitionen betrachtet werden.

Mit Blick auf die Wertermittlung geht es darum, ob eine womöglich zu geringe Barrierefreiheit einen Werteinfluss hat oder nicht. Eine fehlende ausreichende Barrierefreiheit muss nicht zwingend wertmindernd sein, wenn die Nachfrage danach nicht oder kaum besteht. Es kommt also auf die örtliche Marktsituation (Altersverteilung) an. Die Musteranwendungshinweise zur ImmoWertV (kurz: ImmoWertA) liefern leider keine Hilfen für den Umgang mit der Barrierefreiheit in der Wertermittlung. Dort wird lediglich auf die jeweiligen Landesbauordnungen verwiesen, was nicht wirklich weiterhilft. Daher gilt auch hier wie so oft: Es kommt auf den Sachverstand und die fachliche Kompetenz des Wertermittlers an.

 

Fazit

Die Integration der Barrierefreiheit in die ImmoWertV 2021 ist ein Ausdruck des Wandels in der Immobilienbranche und der Gesellschaft. Sie unterstreicht die Notwendigkeit, Immobilien nicht nur unter ökonomischen, sondern auch unter sozialen und ethischen Gesichtspunkten zu beschreiben und zu bewerten. Die Herausforderung für die Zukunft wird darin bestehen, die Standards für Barrierefreiheit kontinuierlich zu aktualisieren und an die sich ändernden Bedürfnisse anzupassen. Die ImmoWertV 2021 bietet eine Grundlage und setzt einen wichtigen Schritt in Richtung einer inklusiveren Immobilienwirtschaft. Ohne die kritische und sachverständige Würdigung des Gutachters geht es oftmals aber nicht von alleine!