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Grundsteuerreform 2025 - Ländererlasse zur neuen Grundsteuer


Die jüngsten Entwicklungen im Bereich der Grundsteuer sorgen für Aufsehen. Mit Beschlüssen vom 27. Mai 2024, II B 78/23 (AdV) und II B 79/23 (AdV), hat der Bundesfinanzhof in zwei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entschieden, dass Steuerpflichtige im Einzelfall die Möglichkeit haben müssen, einen niedrigeren gemeinen Wert (Verkehrswert) ihres Grundstücks nachzuweisen, wenn sich der im sog. Bundesmodell festgestellte typisierte Grundsteuerwert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweist (Verstoß gegen das Übermaßverbot). Nach kürzlich ergangenen Anweisungen der Finanzverwaltung und ersten landesgesetzlichen Regelungen soll diese Rechtsprechung umfassend umgesetzt werden, was weitreichende Konsequenzen für Immobilieneigentümer und -bewerter in Deutschland hat. Nachfolgend beleuchten wir die wichtigsten Aspekte dieser neuen Regelungen und deren praktische Bedeutung.

Hintergrund der BFH-Beschlüsse

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber für Zwecke der Grundsteuer bei der Wahl der Bemessungsgrundlage und bei der Ausgestaltung der Bewertungsregelungen einen weiten Gestaltungsspielraum zugestanden, solange sie geeignet sind, den mit der Steuer verfolgten Belastungsgrund zu erfassen und dabei die Relation der Wirtschaftsgüter zueinander realitäts- und gleichheitsgerecht abzubilden. Der Gesetzgeber verfügt gerade in Massenverfahren wie der Grundsteuerbewertung über einen großen Typisierungs- und Pauschalierungsspielraum. Die vom Bundesgesetzgeber erlassenen Neuregelungen zur Grundsteuerbewertung enthalten insbesondere aus Gründen der Automatisierung und Bewältigung der Neubewertung von über 36 Millionen wirtschaftlichen Einheiten auf einen einheitlichen Hauptfeststellungsstichtag eine Vielzahl von Typisierungen und Pauschalierungen. 

Belastungsgrund für die Grundsteuer ist nach der gesetzgeberischen Vorstellung die durch den Grundbesitz vermittelte Möglichkeit einer ertragsbringenden Nutzung, die sich im Sollertrag widerspiegelt und eine objektive Leistungsfähigkeit vermittelt. Ausgehend von dieser Belastungsgrundentscheidung des Gesetzgebers ist nach der Rechtsauffassung des BFH eine dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügende Besteuerung grundsätzlich nur dann gewährleistet, wenn sich das Gesetz auf der Bewertungsebene am gemeinen Wert als dem maßgeblichen Bewertungsziel orientiert. 

Soweit sich im Einzelfall ein Unterschied zwischen dem gem. §§ 218 ff. BewG ermittelten Wert und dem gemeinen Wert ergibt, ist dies aufgrund der typisierenden und pauschalierenden Wertermittlung des Bewertungsgesetzes, die notwendigerweise mit Ungenauigkeiten verbunden ist, grundsätzlich hinzunehmen. Verfassungsgemäß ist solch eine typisierende Regelung aber nur so lange, wie ein Verstoß gegen das Übermaßverbot im Einzelfall entweder durch verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift oder durch eine Billigkeitsmaßnahme abgewendet werden kann. 

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann das Übermaßverbot insbesondere dann verletzt sein, wenn sich der festgestellte Wert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweist. Dies setzt regelmäßig voraus, dass der vom Finanzamt festgestellte Grundsteuerwert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 % oder mehr übersteigt bzw. der gemeine Wert der wirtschaftlichen Einheit im Feststellungszeitpunkt um mindestens 28, 57 % niedriger ist als der nach den §§ 218 ff. BewG festgestellte Grundsteuerwert. In den vorgenannten Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes konnten die Antragsteller, u. a. für ein Grundstück mit einem in 1880 errichteten Gebäude in schlechtem Instandhaltungszustand (sog. Liquidationsobjekt) schlüssig darlegen, dass der festgestellte Grundsteuerwert den tatsächlichen gemeinen Wert ihrer Grundstücke erheblich übersteigt. Die jeweils angefochtenen Feststellungsbescheide über den Grundsteuerwert waren daher von der Vollziehung auszusetzen. 

Reaktion der Finanzverwaltung

Die Finanzverwaltung hat schnell auf die vorgenannte BFH-Rechtsprechung reagiert. Durch koordinierte Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 24. Juni 2024 werden die Voraussetzungen für den Ansatz des niedrigeren gemeinen Werts bei der Bewertung des Grundvermögens im sog. Bundesmodell für Zwecke der Grundsteuer ab 1. Januar 2025 und die Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes präzisiert. Sie enthalten darüber hinaus konkrete Anforderungen an die Führung des Nachweises des niedrigeren gemeines Werts. 

Billigkeitsmaßnahmen sind bei der Feststellung von Grundsteuerwerten gem. § 220 Satz 2 BewG grundsätzlich ausgeschlossen. Soweit die pauschale Grundsteuerwertermittlung allerdings im Einzelfall gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot verstößt, ist zur verfassungskonformen Auslegung der Bewertungsvorschriften der Nachweis des niedrigeren Werts zulässig. Die Finanzverwaltung bestätigt daher für das sog. Bundesmodell unter bestimmten, eng definierten Voraussetzungen die Möglichkeit zum Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts und damit auch einer entsprechenden Aussetzung der Vollziehung des auf pauschalen Werten basierenden Grundsteuerwertbescheides.

Voraussetzungen für den Nachweis

Den Steuerpflichtigen trifft die Nachweislast für einen niedrigeren gemeinen Wert und nicht eine bloße Darlegungslast. In entsprechender Anwendung des § 198 Abs. 2 BewG kann ein solcher Nachweis regelmäßig nur durch ein Gutachten des zuständigen Gutachterausschusses, eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken oder durch Personen, die von einer nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierten Stelle als Sachverständige für die Wertermittlung von Grundstücken nach entsprechender Norm zertifiziert worden sind, erbracht werden. Alternativ kann ein innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Hauptfeststellungszeitpunkt im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielter Kaufpreis als Nachweis dienen, sofern die maßgeblichen Verhältnisse unverändert geblieben sind.

Anwendbarkeit auf Betriebe der Land- und Forstwirtschaft

Wenngleich sich die koordinierten Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 24. Juni 2024 explizit nur auf die Bewertung des Grundvermögens für Zwecke der Grundsteuer erstrecken, ist davon auszugehen, dass das verfassungsrechtliche Übermaßverbot auch bei der Feststellung der Grundsteuerwerte für die wirtschaftlichen Einheiten des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens, den Betrieben der Land- und Forstwirtschaft, zu beachten ist.

Korrekturen auch ohne Einspruch

Falls kein Einspruch gegen den Grundsteuerwertbescheid eingelegt wurde und dieser somit bestandskräftig ist, kann dennoch eine Korrektur im Rahmen einer fehlerbeseitigenden Wertfortschreibung in Betracht kommen, sofern die Wertfortschreibungsgrenze gem. § 222 Abs. 1 BewG von 15.000 Euro überschritten wird.

Aussetzung der Vollziehung

Laut den vorgenannten koordinierten Ländererlassen wird ab sofort auch Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung von angefochtenen Grundsteuerwertbescheiden entsprochen, wenn schlüssig dargelegt werden kann, dass die 40%-Grenze erreicht wird. Ein Verkehrswertgutachten ist zum Zeitpunkt des Antrags noch nicht erforderlich, muss jedoch zeitnah nachgereicht werden. Aufgrund hinreichender substantiierter Angaben der Steuerpflichtigen zur Höhe des Verkehrswerts können im Ergebnis der summarischen Prüfung zunächst regelmäßig 50 % des Grundsteuerwerts von der Vollziehung ausgesetzt werden.

Ausblick

Dem Vernehmen nach wird auf politischer Ebene derzeit diskutiert, im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2024 die Möglichkeit des Nachweises eines niedrigeren gemeinen Werts in § 220 des Bewertungsgesetzes (BewG) aufzunehmen. Diese Gesetzesänderung hätte klarstellenden Charakter und würde zur Rechtssicherheit beitragen.


Auswirkungen auf das Sachverständigenwesen

Die vorgenannten Rechtsentwicklung ist mit signifikanten Auswirkungen auf das Sachverständigenwesen verbunden. Sie eröffnet Chancen, bringt aber auch neue Herausforderungen mit sich. Die Möglichkeit, im Rahmen der Grundsteuerbewertung einen Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts durch ein Verkehrswertgutachten erbringen zu können, wird die Nachfrage nach Sachverständigenleistungen und damit auch nach Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken deutlich erhöhen. Steuerpflichtige, die ihre Grundsteuerlast reduzieren möchten, werden vermehrt auf die Expertise von Gutachtern angewiesen sein, um zunächst die Voraussetzungen für einen Nachweis des niedrigeren Werts prüfen und ggf. anschließend die erforderlichen Nachweise gegenüber den Finanzbehörden erbringen zu können.

Für den Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts gelten grundsätzlich die auf Grund des § 199 Abs. 1 des Baugesetzbuchs erlassenen Vorschriften. Gleichwohl sind beim Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts bei der Grundsteuerbewertung - teilweise besondere - Anforderungen an die Qualität der Verkehrswertgutachten zu beachten. Dies erfordert insbesondere eine hohe Fachkompetenz und eine sorgfältige, transparente Arbeitsweise seitens der Sachverständigen. Ein mit Mängeln behaftetes Gutachten ist von den Finanzbehörden grundsätzlich zurückzuweisen.
Nach den vorgenannten koordinierten Ländererlassen vom 24. Juni 2024 kann in entsprechender Anwendung des § 198 Abs. 2 BewG als Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts nur ein Gutachten
  • vom zuständigen Gutachterausschusses im Sinne der §§ 192 ff. des Baugesetzbuchs, 
  • von öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken, oder 
  •  von Personen, die von einer nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierten Stelle als Sachverständige oder Gutachter für die Wertermittlung von Grundstücken nach entsprechender Norm zertifiziert worden sind, 
 dienen.
Dies wird zu einem verstärkten Interesse an Zertifizierungs- und Akkreditierungsprogrammen führen. Sachverständige werden häufiger entsprechende Qualifikationen anstreben, um ihre Dienstleistungen anbieten zu können und um von den Steuerpflichtigen als vertrauenswürdige und kompetente Gutachter wahrgenommen zu werden. Mit der steigenden Nachfrage nach Gutachten könnten Sachverständige ihr Dienstleistungsangebot erweitern. Neben der reinen Bewertung von Grundstücken könnten zusätzliche Dienstleistungen wie die Beratung zur optimalen Vorgehensweise bei der Nachweisführung oder Unterstützung bei der Antragstellung auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) angeboten werden. Dabei müssen sich die Sachverständigen aber auf verfahrenstechnische Herausforderungen einstellen, insbesondere wenn es um die Fristen für die Einreichung von Gutachten geht. Die Ländererlasse sehen vor, dass Verkehrswertgutachten zeitnah nachgereicht werden müssen, was eine effiziente Arbeitsweise und gute organisatorische Fähigkeiten erfordert.

Fazit

Der Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts im Rahmen der Grundsteuerbewertung im sog. Bundesmodell bietet den Steuerpflichtigen eine wichtige Möglichkeit Einzelfallgerechtigkeit herzustellen und ihre Steuerlast zu senken. Grundstückseigentümer sollten sich daher frühzeitig über die Möglichkeit des Nachweises des niedrigeren gemeinen Werts bei der Grundsteuerbewertung informieren und bei Bedarf entsprechende Sachverständigenleistungen in Anspruch nehmen. Sachverständige sollten infolge der erhöhten Nachfrage nach Sachverständigenleistungen bei der Grundsteuerbewertung einerseits ggf. ihre fachliche Qualifikation an die geforderten Anforderungen anpassen und anderseits ihre Fachkompetenz gezielt weiterentwickeln, ihr Dienstleistungsangebot erweitern und eng mit anderen Berufsgruppen zusammenarbeiten. Die Veränderungen bieten die Möglichkeit, sich als unverzichtbarer Partner für Grundstückseigentümer und Unternehmen zu positionieren und einen wertvollen Beitrag zur fairen und verfassungskonformen Besteuerung bei der Grundsteuer zu leisten.